Ein Nachmittag im Leben eines rechenschwachen Kindes

An einem „einfachen“ Beispiel, wie es von Eltern und Kindern immer wieder geschildert wird, wollen wir einmal darstellen, mit welchen Schwierigkeiten, Erklärungen und Ungereimtheiten es ein rechenschwaches Kind zu tun hat.

Das Kind (wir nennen es Maren) soll seine Hausaufgaben in Mathe erledigen. Maren nimmt am Förderunterricht teil und bekommt Aufgaben zum Üben, die normalerweise von Schülern gegen Ende des zweiten Schuljahres gelöst werden sollen. Die Mutter sitzt wie üblich daneben und versucht, ihrer Tochter so gut es geht zu helfen.

Die erste Aufgabe lautet: „25 + 18 = ?“ – ein scheinbar nicht allzu schwer zu bewältigendes Problem.

Maren fängt an zu „rechnen“. Da sie über keinen Zahlbegriff verfügt, kompensiert sie ihr völliges Unverständnis durch das Abzählen einer auswendig gelernten Zahlenreihe. Für Maren stellt sich die Aufgabe folgendermaßen dar: „Ich soll von der 25 aus hoch zählen (wegen dem plus), und zwar genau 18 Schritte."

Die Aufgabe soll ohne Fingerhilfe gelöst werden,

schließlich ist das Kind ja bereits in der dritten Klasse. Maren erinnert sich an eine ihrer ersten Regeln, die sie in der ersten Klasse gelernt hat. „Da steht zwar, dass ich bei der 25 anfangen soll zu zählen, aber in Wirklichkeit meinen die (Erwachsenen) bei Plusaufgaben die 26!“

Eine Regel, die nicht selten bei Erstklässlern, sehr wohl logisch durchdacht, zu einer Beschwerde führt: Denn wenn Rechnen nichts anderes ist als Auf- bzw. Abwärtszählen, dann gibt mir die erste Zahl an, wo man anfangen muss zu zählen, und das Rechenzeichen sagt, ob auf- bzw. abwärts gezählt wird, und die zweite Zahl gibt an, wie viel gezählt werden soll. Das hieraus folgerichtige Ergebnis der Aufgabe 4 + 3 ist dann die 6 (4, 5, 6; Verzähler um 1). Auf den Einwand der Mutter, dass man hier bei 5 anfangen muss, lautet die wiederum vom Kind aus gesehene logische Beschwerde: „Warum schreibt ihr das eigentlich nicht sofort hin? Das finde ich doof!“ Aber wenden wir uns jetzt wieder Maren und ihrer Mutter zu.

Maren beginnt die Aufgabe zählend zu lösen.

Dabei schaut das Kind scheinbar geistesabwesend aus dem Fenster. Das und die Tatsache, dass das Mädchen wieder einmal ewig braucht, verleitet die Mutter zur Mahnung: „Maren, du sollst das doch ausrechnen! Nun konzentriere dich doch mal!“ Woraufhin sich das Kind fürchterlich beklagt, dass es erstens beim Rechnen wäre und zweitens nicht gestört werden wolle, weil es jetzt noch einmal alles neu rechnen müsse. 

Marens Widerspruch ist vollkommen zu Recht erfolgt. Sie war gerade dabei, von der 25 aus hochzuzählen und ist zunächst einmal beim Zehnerübergang hängengeblieben. „Was kommt da noch mal für eine Zahl nach der 29?“ Um dieses Problem zu lösen, zählt das Kind die 10er-Reihe hoch: „10, 20, 30 – also jetzt kommt die 30.“ Bei dieser Überlegung ist dem Kind jedoch entfallen, wie viel es vorher eigentlich schon hochgezählt hatte, und eine Kontrolle mit den Fingern ist ja nicht gestattet. „Also muss ich mir die Finger vorstellen!“

Rechenschwache Kinder nennen dieses „Kontrollinstrumentarium“ Luftfinger,

wobei das Material durchaus wechseln kann, je nachdem, womit in der Schule gerade gerechnet wird (Zahlenstrahl, Hundertertafel etc.). Um dieses Bild der Finger vor dem geistigen Auge zu haben (und es werden ja immerhin 18 Stück!), schaut das Kind aus dem Fenster in den Himmel, um eine möglichst monochrome Fläche vorzufinden (manche Kinder schließen auch die Augen oder starren zur Decke).

Maren beginnt also jetzt, die Aufgabe erneut zählend zu lösen, schafft dann auch schneller den Zehnerübergang, und dann kommt die Mahnung der Mutter! Das Bild der Finger verschwindet, das Mädchen weiß nicht mehr, bei welcher Zahl es gerade war, und muss wieder von vorne anfangen; alle Anstrengungen und alle Konzentration waren umsonst, nur „weil Mama mich nicht rechnen lässt und mich immer stört!“

Im weiteren Verlauf bemüht sich die Mutter um Geduld, und Maren versucht erneut, die Aufgabe zu lösen. Diesmal mit Hilfe der Finger, damit es erstens nicht so schwer ist, zweitens schneller geht und Mutti dann nicht wieder unterbrechen kann. Dafür müssen die Finger natürlich unter dem Tisch versteckt werden.

Leider hat Maren hier die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Diese „Tricks“ sind der vom ständigen erfolglosen Üben nervlich angeschlagenen Mutter natürlich wohl bekannt, so dass auch der dritte Versuch Marens, die Aufgabe zu lösen, mit der Bemerkung, dass sie es doch bitte ohne Finger versuchen solle, ein vorzeitiges Ende findet. Inzwischen sind bereits 5 Minuten vergangen, und noch keine einzige von den 20 Aufgaben wurde gelöst; und zum Schluss ist da ja auch noch die Textaufgabe, und die kann Maren überhaupt nicht. Die erste vorsichtige Hochrechnung der Mutter kommt auf 2 Stunden, und das nur für Mathe! Also muss hier schleunigst eine Hilfestellung gegeben werden, damit der Nachmittag nicht schon wieder mit Tränen endet.

„Maren, rechne doch erst einmal 25 + 5!“

Maren ist über dieses Anliegen im höchsten Maße verwundert: Die Hausaufgabe hieß doch „25 + 18“, und hatte die Mutti nicht seit geraumer Zeit darauf bestanden, dass sie diese Aufgabe auch lösen soll?! Maren fragt nach: „Warum soll ich denn die Aufgabe ‚25 + 5‘ rechnen; die ist doch gar nicht bei den Hausaufgaben?“

Die Antwort der Mutter sorgt bei Maren für völlige Konfusion: „Weil du erst einmal zum nächsten vollen Zehner rechnen sollst“!

Sicherlich kennen leidgeprüfte Mütter Fehler ihrer Kinder bei Sachaufgaben, bei denen die Antwort nicht zur Frage passt. Dieses Mal ist es aber so, dass die Mutter keine Antwort auf die Frage des Kindes gegeben hat, dies aber trotzdem glaubt. Maren und ihre Mutter reden also völlig aneinander vorbei.

Maren hat tatsächlich eine sehr einfache Frage gestellt. Sie wollte wissen, warum sie eine Aufgabe, die nicht zu den Hausaufgaben gehört, eigentlich rechnen soll. Daran ist zunächst einmal zu bemerken, dass das Kind zwischen den beiden Aufgaben keinerlei Zusammenhang erkennt. Diesen Zusammenhang unterstellt die Mutter bei Maren aber als begriffen und argumentiert dementsprechend weiter mit einer Rechenstrategie, und diese Antwort hat mit Marens Frage nun wirklich nichts zu tun.

Die Mutter versucht, Maren eine weitere Hilfestellung zu geben:

„Kannst du mir denn sagen, welcher volle Zehner das ist?“ Kann Maren natürlich nicht! Sie weiß, dass ein Wasserglas oder eine Mülltonne voll sein können, aber eine volle 10, das kann sie sich beim besten Willen nicht vorstellen! Die Mutter erkennt, dass das Kind offensichtlich Schwierigkeiten hat, den vollen Zehner zu benennen. Sie versucht es mit einer „Erklärung“: „10, 20, 30, 40, 50 usw., das sind alles volle Zehner!“

Maren ist erstaunt! Die 10 ist also gleichzeitig auch 20 und 30 und 40 und 50! Und was soll überhaupt das „und so weiter“?

Inzwischen sind 10 Minuten vergangen, ohne dass auch nur ansatzweise eine Lösung der ersten Aufgabe gefunden wurde. Ganz im Gegenteil merkt die Mutter, dass Maren auch „einfachste Erklärungen“ nicht versteht. Also gibt sie die bisherige Linie auf und fordert das Kind auf, doch erst einmal „25 + 5“ zu rechnen, nach dem Motto, dass der Rest sich schon ergeben wird und der Groschen bei dem Kind dann fällt.

Maren sieht zwar überhaupt nicht ein, dass sie eine Aufgabe rechnen soll, die nicht zu den Hausaufgaben gehört, aber sie gibt dem Drängen der Mutter schließlich nach.

Maren zählt von der 25 aus 5 Zahlen hoch,

der Zehnerübergang gelingt, das richtige Ergebnis lautet 30. Der vorsichtige Blick des Mädchens in die sich aufhellende Miene der Mutter signalisiert ihr, dass das Ergebnis passt. Die Mutter macht Maren Mut: „Siehst du, das ist doch viel einfacher!“

Nun, das ist Maren auch nicht entgangen: „‚25 + 5‘ ist natürlich einfacher als ‚25 + 18‘“, denkt sich Maren noch, als die nächste Frage der Mutter folgt: „Was musst du denn nun rechnen?“

Maren denkt an ihre Hausaufgabe und folgerichtig lautet die Antwort: „25 + 18“, wobei Maren erwartungsvoll die Mutter anschaut.

Die ist mit ihrer Antwort aber überhaupt nicht zufrieden; ganz im Gegenteil: „Aber Maren! Hast du überhaupt einmal genau hingeschaut, was wir gerechnet haben?“ Maren blickt in ihr Heft. Dort steht:

25 + 18 =

25 + 5 = 30

und antwortet der Mutter: „25 + 5 = 30“

„Richtig“, meint die Mutter und fährt fort: „Also (?!) müssen wir jetzt mit der 30 weiterrechnen!“

Das Mädchen gibt es auf, dem Gedanken der Mutter zu folgen. „Mama hat also gesagt, dass jetzt mit der 30 weitergerechnet werden soll“, und weil es schließlich eine Addition ist, probiert es Maren mit der Antwort: „Plus 30!“

Der barscher werdende Ton der Mutter, deren Geduld sich langsam dem Ende neigt, führt bei Maren zu den ersten Tränen: „Maren, du denkst ja gar nicht nach! Du rätst ja nur!“

Ersteres Urteil entbehrt jeder Grundlage, während das zweite durchaus seine Berechtigung hat, wobei es aber eben nicht ein wildes Raten ist, sondern durchaus zielgerichtet auf die „Erklärungen“ der Mutter abgestimmt ist.

Um die Situation nicht weiter emotional eskalieren zu lassen,

sagt die Mutter den nächsten Rechenschritt vor: „Schreib doch jetzt einmal die nächste Aufgabe hin! „30 + 3“! Was kommt da denn raus?“

Maren tut, was ihr die Mutter gesagt hat, und rechnet das richtige Ergebnis (33) aus, auch wenn es nicht die Hausaufgaben sind. Das Lob der Mutter bestätigt sie in ihrer Strategie, nicht noch einmal nachzufragen, weil die Mutter dann wieder schimpft. „Prima Maren, das hast du richtig gemacht!“

Die Mutter bezweifelt jedoch (zu Recht), dass Maren den Rechenweg verstanden hat, und fasst noch einmal zusammen: „Wir haben doch jetzt ‚8 - 5‘ gerechnet, und das ist 3; und weil wir schon bei 30 angekommen sind, müssen wir jetzt ‚30 + 3‘ rechnen, weil das der Rest von der 8 ist, die wir ja plus rechnen müssen; so geht das viel schneller!“

Maren ist einigermaßen fassungslos. „Das mit dem viel schneller kann die Mutti ja wohl nicht ernsthaft meinen. Dürfte ich mit den Fingern rechnen und müsste nicht laufend zusätzliche Aufgaben lösen, ich wäre mit den Hausaufgaben schon viel weiter. Aber noch viel rätselhafter ist, warum wir (?!) die Aufgabe ‚8 - 5 = 3‘ gerechnet haben sollen; die steht nirgendwo im Heft, und von wir kann nun wirklich nicht die Rede sein, bestenfalls Mutti hat das gerechnet. Eine Minus-Aufgabe, obwohl doch plus gerechnet werden soll!! Schimpft Mutti nicht immer, wenn ich statt minus plus rechne?! Und jetzt macht sie es selber. Und das mit dem ‚Rest‘ ist auch so komisch. Den gibt es dochn nur bei Geteilt-Aufgaben!“

Maren beschließt, aufgrund der vielen Ungereimtheiten nachzufragen: „Warum soll ich das denn alles rechnen?“

Die Antwort der Mutter sorgt für neue Tränen:

„Weil das so doch alles ganz einfach ist, findest du nicht?!“

Nein, das findet Maren wirklich überhaupt nicht. „Und dann ist da schon wieder der Satz, dass immer alles ganz einfach ist“, denkt sich Maren. Den hat sie schon tausendmal gehört. „Das sagt auch immer die Lehrerin und auch die anderen Kinder; selbst der Thomas, und der ist doch sonst viel schlechter in der Schule als ich. Und alle sagen immer, ich soll fleißig üben, dann wird es schon besser. Das hilft bei mir nicht, weil ich einfach zu dumm bin; das hat auch schon mal der Papa gesagt. Aber vielleicht bin ich ja auch wirklich krank im Kopf; schließlich war die Mutti mit mir deswegen schon beim Arzt und auch im Krankenhaus, und in der Schule haben die auch schon einen Test gemacht.“

Der Mutter gelingt es schließlich, das Mädchen zu beruhigen. Als Maren sich gefangen hat, macht die Mutter den Vorschlag, einfach ins Heft zu schreiben, dass sie (Maren) die Hausaufgaben nicht verstanden hätte, damit die Lehrerin ihr noch mal alles erklären könne. Aber ohne Hausaufgaben will Maren auf keinen Fall in die Schule gehen, denn: „Dann sehen alle wieder, dass ich zu doof bin!“

Die Mutter dementiert energisch und macht ihrer Tochter Mut. Das hat Maren auch schon tausendmal gehört, und ein Blick des Mädchens auf das immer noch so gut wie weiße Blatt ihres Haushefts spricht ja wohl Bände.

Nach 20 Minuten fällt die Bilanz in der Tat ziemlich verheerend aus. Im Heft steht:

25 + 18 =

25 + 5 = 30

30 + 3 = 33

Maren ist, was die mathematischen „Erklärungen“ angeht,

vollends verwirrt, ihr Selbstwertgefühl hat einmal wieder den absoluten Nullpunkt erreicht, und die Verabredung mit ihrer Freundin kann sie sowieso vergessen. So ist es fast immer, wenn Mathe-Hausaufgaben anstehen. Die Mutter ist mit ihren Nerven am Ende; sie weiß sich keinen Rat mehr, meint, dass man es „einfacher“ nun doch wirklich nicht „erklären“ könne. Das mit der „ausgerutschten Hand“ ist ihr zwar bis jetzt noch nicht passiert, aber irgendwie muss es doch an dem mangelnden Willen ihrer Tochter liegen. Schließlich hat man doch alles getan! Ein Jahr Nachhilfe, Erfolg gleich Null; das EEG war ohne Befund, und auch die Lehrerin meinte, dass Maren kein Kind für die Sonderschule sei. Sie versucht es weiter mit der „Erklärung“ des nächsten Rechenschritts. „So, Maren. Wir haben jetzt die 8 plus gerechnet. Die ist also (?!?) schon mal weg (???). Jetzt ist da noch die 1. Was musst du denn jetzt rechnen?“ (Die Mutter deutet auf die Zehnerstelle der Zahl 18.)

Maren denkt angestrengt nach: „Mutti hat gesagt, dass wir die 8 plus gerechnet haben und wir sie deshalb minus gerechnet haben, weil sie ja schon weg ist. Jetzt soll ich was mit der 1 machen, und davor steht ein +!“ „Plus 1 !“, lautet Marens Antwort.

Die Mutter hätte auch auf jede andere Zahl deuten können, Maren hätte sie sofort als die zu addierende Zahl benannt.

Die Mutter nimmt die Antwort wohlwollend auf

und fragt weiter nach: „Fast richtig, Maren. Aber schau mal, die 1 steht vor der Acht, die ja schon fertig plus gerechnet ist. Deswegen (?) ist die 1 ein …“

„Zehner“ wollte Marens Mutter hören. Das rettende Wort bleibt natürlich aus, weil das Mädchen das dekadische Positionssystem auch in Ansätzen nicht verstanden hat.

Eine weitere „Hilfestellung“ der Mutter folgt: „Also, wenn die 8 schon weg ist, dann bleibt bei den Einern eine Null, und dann steht da die Zahl 10.“ Maren weiß zwar nicht, was ihre Mutter da erklärt hat, aber sie probiert es mal mit der Zahl 10 aus: „Plus 10!“ – „Richtig“ kommt die erlösende Antwort der Mutter. Das aber immer noch ratlose Gesicht ihrer Tochter lässt sie zu dem Schluss kommen, den nächsten Rechenschritt zu diktieren: „Wir schreiben also (?!?) jetzt auf ‚33 +10 =‘ und rechnen das jetzt aus!“

Aufgabe Nr. 3 steht jetzt im Heft, die nichts mit den Hausaufgaben zu tun hat. Maren zählt aufwärts, stockt wieder beim Zehnerübergang und gelangt schließlich doch zur Zahl 43. Im Heft steht jetzt:

25 + 18 =

25 + 5 = 30

30 + 3 = 33

33 + 10 = 43

Die Mutter ist erleichtert. Endlich ist die erste Aufgabe fertig! Da hat sich die Mutter allerdings gründlich geirrt. Und auch die Annahme, dass die restlichen Aufgaben jetzt schneller durchgerechnet werden, wird sich nicht bewahrheiten. Die Mutter stellt die nächste Frage: „Was kommt denn jetzt bei ‚25 + 18‘ als Ergebnis raus?“ Maren schaut aus dem Fenster und beginnt zu „rechnen“. Die Mutter ist fassungslos: „Aber Maren, das haben wir doch gerade ausgerechnet!“

Das Mädchen schaut in sein Heft.

Drei Aufgaben sind bisher gerechnet worden: Aber die Aufgabe „25 + 18“ ist noch nicht dabei. Maren weiß nicht, was sie sagen soll, da folgt bereits der nächste Hinweis der Mutter: „Maren, schau doch mal hin! Das Ergebnis steht doch schon da!“

Maren schaut sich die Aufgabe „25 + 18“ noch einmal an. „Aber da steht doch noch kein Ergebnis!“, protestiert das Mädchen.

Der Protest von Maren fällt jedoch nicht auf fruchtbaren Boden: „Du schaust ja auch auf die ganz falsche Aufgabe! Da unten steht doch, dass ‚33 + 10 = 43‘ ist. Also (?!) ist das Ergebnis 43!“

Das findet Maren allerdings überhaupt nicht einleuchtend. „Wenn ich das Ergebnis der Aufgabe ‚25 + 18‘ wissen will, muss man auf die Aufgabe ‚33 + 10‘ schauen. Das würde ja bedeuten, dass ich ‚33 + 10‘ rechnen muss, um herauszubekommen, welches Ergebnis bei ‚25 + 18‘ das richtige ist. Aber woran erkenne ich überhaupt, dass man bei ‚25 + 18‘ die Aufgabe ‚33 + 10‘ rechnen muss; da ist ja überhaupt keine Zahl gleich? Und welche Aufgabe muss ich bei der nächsten Aufgabe nehmen?“

Die Mutter verlässt die bisherige „Erklärungsschiene“ und versucht es mit einem Rechenschema: „Wir können die Aufgabe auch so rechnen. Zuerst rechnest du die Zehner zusammen und dann die Einer.“

Weil die Mutter weiß, dass Maren ständig Zehner und Einer einer Zahl verwechselt, schiebt sie den nächsten „Tipp” gleich nach: „Also musst du von den Zahlen 25 und 18 die 2 und die 1 und die 5 und die 8 zusammenrechnen, weil (?!) du ja keine Äpfel und Birnen zusammenrechnen kannst!“

Was Äpfel und Birnen mit Zehnern und Einern zu tun haben,

versteht Maren nicht. Den Trick mit den Zehnern und Einern hat Maren allerdings schon öfters gehört. Sie befolgt den Tipp der Mutter und schreibt nach einer Weile das Ergebnis hin:

25 + 18 = 313

Mit diesem Ergebnis reißt nun endgültig der Geduldsfaden der Mutter. „Hast du denn nicht hingehört, was du rechnen sollst? Das sieht man doch sofort, dass das falsch ist. ‚20 + 10‘ ist doch nur 30, und du bekommst über 300 raus!“

Das Mädchen bricht erneut in Tränen aus. Schließlich hat es doch genau hingehört und auch das gerechnet, was die Mutter gesagt hat: „2 + 1 = 3 und 5 + 8 = 13, und das Ergebnis hat sie auch hingeschrieben. Und überhaupt, die Aufgabe 20 + 10 steht nirgends im Heft. Wie kann man denn dann sehen, dass das falsch ist?

Nach einer Weile hat die Mutter sich wieder beruhigt. Um dem Drama ein Ende zu bereiten, entschließt sich die Mutter zur letzten Lösungsstrategie: vorsagen! Geschlagene zwei Stunden später sind die Mathe-Hausaufgaben fertig (wie Maren und ihre Mutter auch) – wäre da nicht noch die Textaufgabe. Aber das schafft die Mutter nicht mehr; erstens hat sie auch noch andere Dinge zu tun, und zweitens ist sie mit ihrem Latein völlig am Ende. Da muss halt der Papa ran!

Maren zeigt ihrem Vater die Aufgabe.

Sie lautet: „Herr Meier fährt in den Supermarkt und kauft 3 Kisten Mineralwasser. In jeder Kiste sind 12 Flaschen.“

Der Vater macht Maren Mut: „Versuche es doch einmal alleine. Das ist gar nicht so schwer. Wenn du fertig bist, zeigst du mir dein Ergebnis.“

Maren rechnet die Sachaufgabe aus und präsentiert dem Vater ihre Lösung. Der Kommentar des Vaters sorgt bei Maren erneut für Tränen. „Jetzt gehst du morgen in die Schule und sagst deiner Lehrerin, dass du zum Rechnen einfach zu dumm bist!“

In Marens Heft steht:

Frage: Wie viel muss Herr Meier insgesamt bezahlen?

Rechnung: 12 + 3 = 15

Antwort: Es kostet zusammen 15 DM.

Zumindest hat die Quälerei für Maren heute ein Ende. Seit nun drei Jahren geht das fast jeden Nachmittag so, und zu guter Letzt streiten sich darüber dann auch noch der Vater und die Mutter.

Diese Geschichte ist mit freundlicher Genehmigung entnommen aus:
Hoffmann, W.; Schlee, U.; Schwerin, A. v.: Mein Kind ist rechenschwach – Ein Ratgeber für den Umgang mit rechenschwachen Kindern, Dortmund, 5. Auflage 2004. Alle Rechte vorbehalten!